Liebe Josie, heute ist der vierte Advent. Und nach so vielen gemeinsamen Adventssonntagen ist es der erste, an dem du nicht bei mir bist. Jedenfalls nicht körperlich. An dem meine Hand nicht durch dein langes flauschiges Fell gleitet. Eine kurze Berührung, ein warmer Blick und deine Augen, die mir sagen: „Hey, ist es nicht Zeit zur ersten Runde?“ Und du würdest ein bisschen drängeln.

Wärest du jetzt hier, würde ich dir sagen: „Josie, Baby, es ist alles anders geworden, seit du nicht mehr hier bist. Julanta und Jenny sind flexibler als du es warst und laufen, wann immer ich zum Aufbruch blase. Und selbst wenn ich es nicht tue, ist es kein Drama für sie. Neulich war ich krank und konnte es ausprobieren.“ Ich sehe in deine gütigen, weisen Augen und kann förmlich spüren, wie es in dir rattert. „Nein, keine Sorge Josie, natürlich gehe ich die Runden.“
Ich erzähle ihr, dass ich die Kerze in meinem Wohnzimmer neben ihrem Bild entzündet habe. Manchmal tue ich das. Wenn ich besonders intensiv an sie denke. Ich berichte ihr, dass ich in diesem Jahr Weihnachtsgeschenke für die Hunde kaufe. Neues Spielzeug. Auch ihre Freunde von der Abenteuergruppe werden es nutzen können. Jeder von ihnen hat Josie geliebt, zu ihr aufgesehen, selbst wenn sie immer sparsam war mit Freundschaftsbekundungen. Ich bin mir sicher, dass auch ihr das Weihnachtsspielzeug gefallen hätte.

„Es hat schon richtig geschneit“, sage ich ihr. „Weißt du noch? Dein erstes Lebensjahr, in dem du so krank warst und niemand wusste, ob du die ersten Schneeflocken jemals sehen würdest. – Mein Weihnachtswunsch war es, dass du Schnee vom Himmel fallen siehst. Und du hast die weißen Flöckchen gesehen. 14 Winter.“ Das macht mich unglaublich glücklich. „Josie weißt du, dass du für mich in all den Jahren ein Wunder warst? Eine so starke Kämpferin. Eine so treue Gefährtin. Ein Vorbild. – Du hast all deine Schmerzen, deine Krankheit mit so stoischer Gelassenheit getragen, ohne je zu jammern, ohne gebrochen zu sein, ohne deinen Stolz oder deine Würde zu verlieren. Jahr für Jahr. Bis zum letzten Atemzug. Oh ja, du und ich, wir beide wissen, dass Körper und Seele zusammengehören. Und manchmal wiegt körperlicher Schmerz weniger, wenn es der Seele saugut geht. Vielleicht bist du deshalb trotz allem so alt geworden.


Du hast mich begleitet durch jeden Sturm, jedes Hoch meines Lebens. Und wenn ich bei dir saß, dein Fell berührte, war das immer Erdung. Das fehlt mir so sehr. Durch dich konnte ich lernen, was echte Freundschaft war, Loyalität und Treue. Durch dick und dünn. Deine tröstende Nähe anzunehmen in dunklen oder kälteren Zeiten, musste ich erst lernen. Ja, das geht!


Weißt du noch in der kleinen Wohnung im Dachgeschoß? Wir hatten nichts. Ein geliehenes Feldbett, eine Kaffeemaschine, eine Tasse war alles, was darin war. Du lagst am Fußende des Klapp-Bettes und wir waren in jenem Moment so glücklich. Es war alles nicht schlimm. Wir hatten uns. Jeder war für jeden der Anker, der Hafen, der Fels. Glaub mir, so etwas hab ich niemals vorher erlebt.“ Deine Augen richten sich auf mich. Mit dieser tiefen gütigen Weisheit. Du erinnerst mich wie so oft schon daran, mit liebender Güte die Dinge zu betrachten. „Ja, ich weiß Josie. Und ich bleibe meinen Werten treu.“


Dein Bett ist jetzt draußen. Vor meinem Fenster im Garten. Ich habe zwei Büsche gepflanzt. Und ganz viele Blumen, die im Frühjahr blühen werden. Die Büsche sind von A. und L., du kennst sie. Ist es nicht schön, Berührtheit zu teilen?“ – Ich muss grinsen, wenn ich an unseren letzten Sommer denke und daran, wie wir sie besuchten. Du hast einen Fladen auf ihre Terrasse gelegt … ohje … Sie haben nur darüber gelacht, die beiden. So sind Freunde.
Und auch J. sagte immer zum Abschied: „Auf Wiedersehen, alte Dame.“ Ja, alte Dame, so nannte er dich.
„Die Büsche auf deinem Grab werden viele Bienen anziehen. Du mochtest die Jagd auf sie so gern. Manchmal hab ich geschimpft, weil ich mich ängstigte, sie könnten dich stechen. Doch das passierte nie. Und so ließ ich dich gewähren. Und vertraute. 


An deinem letzten Tag erzähltest du mir, dass du nicht mehr könntest. Dass du müde bist. Und dass es nicht mehr geht. – Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde. Ich wusste es bereits Anfang des Jahres – du wirst Weihnachten nicht mehr erleben.
Ist es nicht komisch, wie wir uns beide gegenseitig vorbereiteten? Ich legte dir diese Decke über. Am Tag davor. Ohne Grund. Ohne zu wissen, dass du sie mit in deinem Grab nehmen würdest. Und du rütteltest mich wach, so wenig Zeit davor? – Ich kam nach Hause und du lagst im Flur. Du warst ganz still. Kein Ohr bewegte sich, kein Kopf, der sich zu mir wandte. Ich rief und rief und du bliebst still. Erst irgendwann schautest du auf, sahst mich an und ich war erleichtert. So fühlt es sich also an, wenn du nicht mehr bist, dachte ich.
Ach Josie. Ach wärest du doch hier. Ich hab’s so gut gemacht wie ich konnte. Mit dir.

Ich frage mich, ob dieser Zeitpunkt, an dem du gehen wolltest, gut gewählt war. Vielleicht meintest du, ich würde es auch ohne dich schaffen. Ich wäre stark geworden. Ich bräuchte dich nicht mehr. Mein Leben ist im Lot und keine Stürme fegen mehr durchs Land. Nicht in Form von Menschen. Nicht in Form von Schicksalsschlägen.
Das Leben war ruhig geworden. Stille war meistens unser Begleiter. Die Natur. Die anderen Tiere. Ja, vielleicht war der Zeitpunkt gut. Doch was ist mit den Winden des Herzens, liebe Josie, mit den Ausläufern der Orkane und Tornados vor langer Zeit, die mich ab und an mal aus dem Inneren streifen, sich leise in Erinnerung rufen?
Josies Kopf erhebt sich. Sie schaut mich an: „Das ist doch kein Problem mehr für dich“, sagt sie. Und in ihren Augen lese ich, dass sie recht hat.


„Na gut“, sage ich und „ich lieb dich so sehr. Irgendwann sehen wir uns bestimmt wieder. Wie ich alle Tiere meines Lebens wiedersehen werde. Wusstest du eigentlich, dass Jacko eine ziemlich interessante Mischung aus Kalle und Arnie darstellt? …“

„Es ist Zeit“, unterbricht mich Josie, „Julanta und Jenny warten. Los, geh jetzt deine Runde machen! Wenn du willst, erzähl es mir beim nächsten Mal.“

„Gibt es ein nächstes Mal?“, frage ich sie.

„Das liegt an dir.“

„Dann bis zum nächsten Mal, Josie. Ich liebe dich.“